Gläserne Kugeln zu Weihnachten

Tradition und Brauchtum aus Thüringen

Stellt euch einen verschneiten Wintertag vor. In einem Tal liegt eine kleine Stadt. Auf den umliegenden Bergrücken stehen dichte Fichtenwälder. Die Äste der Bäume sind mit einer leichten Schneedecke behangen. Die glänzenden Lichter der Häuser leuchten geheimnisvoll im Dunkeln. Hinter den Fenstern einzelner Häuser wird gewerkelt. Es entstehen funkelnde Weihnachtskugeln. Klingt wie im Märchen? Nicht ganz…

Im Thüringer Wald haben die mundgeblasenen und handbemalten Christbaumkugeln lange Tradition. Die beschriebene Stadt Lauscha ist die Geburtsstätte des gläsernen Christbaumschmuckes und des Kunstglasbläserhandwerkes. Noch heute werden hier die weihnachtlichen Kostbarkeiten in Handarbeit hergestellt. Von Thüringen aus verbreiteten sie sich im Laufe der Jahre über die ganze Welt.

Geburtsort der Christbaumkugel

Der Legende nach war es im Jahr 1847 die Idee eines armen Lauschaer Glasbläsers gewesen, bunte Kugeln aus Glas für den Christbaum herzustellen. Damals nutze man Früchte, Nüsse oder Zuckergebäck zur Dekoration des Baumes. Da sich der Glasbläser keine teuren Walnüsse und Äpfel leisten konnte, stellte er den Baumschmuck aus Glas her. In einem erhaltenen Auftragsbuch eines Glasbläsers ist ein Auftrag über sechs Dutzend "Weihnachtskugeln" in verschiedenen Größen vermerkt. Der Eintrag ist aus dem Jahr 1848 und hält damit die erste Bestellung der Kugeln fest.

Lange davor war das beschauliche Lauscha schon als Glasbläserstadt bekannt. Ende des 16. Jahrhunderts erhielten zwei Thüringer Glasmeister – Hans Greiner und Christoph Müller – die Erlaubnis des damaligen Herzogs, eine Glashütte zu betreiben. Die beiden siedelten sich in einem Tal im Thüringer Wald an und begründeten damit Lauscha.

Von Lauscha in die Welt

Doch wie kam es dazu, dass die verzierten Glaskugeln aus der Stube des Glasbläsers nun Weihnachtsbäume auf der ganzen Welt schmücken, fragt ihr euch?

Der Weg der Kugel führte zunächst von Lauscha ins benachbarte Sonneberg. Die Verleger dort nahmen die Glaskunst mit auf die Leipziger Messe. Von da aus verbreiteten sich die farbigen Glaskugeln weiter.​​​

Mehr aus der Werkstube Thüringens

Wusstet ihr, dass Sonneberg damals als Weltspielwarenstadt galt? Schon lange vor dem erzgebirgischen Nussknacker führten Sonneberger Verleger die Nussbeißer in ihren Büchern. Im Thüringer Wald entwickelte sich die Handwerkskunst vom Schnitzen und Drechseln aus naheliegenden Gründen. Mit der Einführung des Papiermachés fand die Puppenherstellung in Sonneberg einen großen Aufschwung. Die Stadt wandelte sich schnell zu einem der wichtigsten Hersteller von Spielwaren. Das lag vor allem auch an den Sonneberger Verlegern, welche die Waren weltweit an den Mann und die Frau brachten. Mehr dazu erfahrt ihr im Deutschen Spielzeugmuseum in Sonneberg.

Unspektakulär? Nicht ganz. Denn wisst ihr, wie genau die Glaserzeugnisse damals von Lauscha nach Sonneberg kamen? Zu Fuß, bei Wind und Wetter, durch Wälder und über Berge, quer durch das Thüringer Schiefergebirge. Mit der schweren Ladung im Weidekorb bepackt, ging es auf den sogenannten Lauschaer Glasbläserpfad. Es waren vor allem die Frauen der Glasbläser, welche die Glaskunst transportierten. Sie schafften die Christbaumkugeln auf dem knapp 15 km langen Weg nach Sonneberg. Ungefähr 100 Jahre – seit Mitte des 19. Jahrhunderts – wurde das zerbrechliche Gut so befördert.

Tipp: Für das authentische Erlebnis begebt euch selbst auf den Lauschaer Glasbläserpfad und tretet in die Fußstapfen der Glasbläserfrauen! Statt Glaskugeln empfehlen wir aber Proviant als Gepäck mitzunehmen.

Ganz unschuldig an der Bekanntheit des Baumbehanges waren Kaiser Wilhelm und Winfield Woolworth auch nicht. Ersterer ließ 1871 im französischen Versailles einen Weihnachtsbaum mit den Glaskugeln schmücken. Woolworth entdeckte die Kugeln in Sonneberg und verkaufte sie bereits Ende des 19. Jahrhunderts in seinen amerikanischen Kaufhäusern.

Eine wahre Thüringerin

Diese mundgeblasene und handgefertigte Kugel verbindet gleich zwei kulturprägende Thüringer Traditionen miteinander: das Glasblasen sowie die Bildung und Erziehung von Kindern nach Friedrich Fröbel. Zu letzterem zählte unter anderem auch das Papierfalten zu Sternen. Die Glaskugel mit Fröbelstern wurde für das Weihnachtsland am Rennsteig® entwickelt.

Gurken am Baum

Bleiben wir bei Legenden rund um die Weihnachtskugel. In Amerika ist eine spezielle Form von Baumschmuck gefragt: eine gläserne Gewürzgurke. Angeblich kommt die „christmas pickle“ aus Deutschland. Die Gurke wird jedenfalls an den Baum gehangen. Da beides grün ist, tarnt sich das Gemüse dort gut. Wer die Gurke zuerst findet, hat im nächsten Jahr besonders viel Glück, bekommt ein Extrageschenk oder darf mit dem Geschenkeöffnen beginnen.

Wo auch immer dieser skurrile Brauch herrührt – ob als deutsche Tradition in Vergessenheit geraten oder durch amerikanische Erzählungen wieder bei uns gelandet: In Lauscha wird die gläserne Gurke seit vielen Jahren hergestellt. Ein Lauschaer Glasbläser berichtet sogar, er habe in den alten Formen seines Groß- und Urgroßvaters eine Gurkenform gefunden. Well then, give me a pickle and I’ll hang it on my tree!

Lauscha und Glas-Tradition erleben

In den zig Glasbläserhütten in Lauscha erlebt ihr 365 Tage im Jahr Weihnachten. In unterschiedlichen Ausführungen findet ihr hier kleine Weihnachtsländer. Will heißen, viele der Läden sind das ganze Jahr über festlich mit weihnachtlichem Glasschmuck dekoriert. So könnt ihr euch im Sommer schon Inspiration für euren Weihnachtsbaum holen oder euch einfach in weihnachtliche Welten ziehen lassen. In den offenen Werkstätten oder bei Führungen lernt ihr auch das traditionelle Handwerk kennen. Entweder schaut ihr den Glasbläser*innen über die Schulter oder probiert euch selbst einmal dabei aus. Im Museum für Glaskunst in Lauscha taucht ihr zudem in die Geschichte der Glasproduktion vom Mittelalter bis in die Gegenwart ein.

Titelbild: ©Dominik Saure, TTG