Der Mann mit dem Speer

Urzeitliche Begegnung in Bilzingsleben

Abrupt wache ich auf, als Clara bremst. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist das Ratsbier in Weißensee. Clara zeigt mit dem Finger nach links. „Hier, schau!“. Ich strecke mich gähnend und folge mit dem Blick Claras Finger. Er zeigt direkt auf ein Plakat, auf dem ein Mann mit Speer und Fackel zu sehen ist. „Was soll das sein?“ murmele ich verschlafen. Prompt rollt Clara mit den Augen. „Eine Ausgrabungsstätte“, sagt sie mit Nachdruck. Ich habe spontan alte Knochenfragmente und kaputte Keramiktöpfe vor Augen. Mehr ist sicher nicht zu erwarten. Immerhin bringe ich ein schwach interessiertes „Mmh“ zustande. Ist aber eh egal, Clara hat schon den Blinker gesetzt.

Ankunft an der Steinrinne

Als wir ankommen ist das Gelände, welches „Steinrinne Bilzingsleben“ heißt, größer als gedacht. Es wird von einer Mauer umgrenzt, in die Tierfiguren eingelassen sind. Ich erkenne Wege und eine Halle weiter hinten. Zuvor aber schaue ich auf eine Plakette mit einem fremdartigen Profil. Clara schaut ebenfalls. „Menschenskinder!“ ruft sie aus und stößt mich in die Rippen. „Homo erectus, das ist ja’n Ding! Weißt du, wann der gelebt hat?!“ Ich zucke mit den Schultern. „Vor 400.000 Jahren!“ Sie betont jede Silbe einzeln, um mir zu zeigen, wie bedeutend das ist. „Aha“, bringe ich zustande. „Ist das sowas wie Neandertaler?“. „Älter“ kommentiert Clara leicht herablassend und strebt zum Infohäuschen. 

Die Welt des Homo erectus

Unsere Eintrittskarten sind zwei Münzen mit Homo-erectus-Aufdruck. Nette Idee. Beim Eintreten in die Halle sehe ich gleich, das muss die Ausgrabungsstätte sein.


Ein Tisch zieht meine Aufmerksamkeit auf sich, eher ein Panel. Linkerhand darauf eine Art Artefaktensammlung. In der Mitte leuchtet ein Kreis. Es dauert kurz, dann habe ich verstanden. Ich nehme eines der vermeintlichen Artefakte und stelle es in den Leuchtkreis. Ein Menü erscheint und ich drücke auf Video. Dann füllt ein dumpfes Rauschen die Halle und eine Stimme beginnt zu erzählen. Vom europäischen Waldelefanten, einem wahrhaften Riesen, der vor langer Zeit lebte. Während der Erzählung nimmt das Tier an der Wand Gestalt an. Aus einem Knochen wird ein Skelett, aus dem Skelett ein Tier. Es bewegt sich erst allein, dann erscheint die Landschaft um ihn herum und seine Herde. Trompetend trabt er durch eine urzeitliche Szenerie davon. Faszinierend!

Nach und nach probiere ich alle „Artefakte“ durch und setze sie in den Kreis auf dem Panel. Dabei lerne ich Höhlenlöwen kennen, Waldnashörner und Hyänen. Und schließlich: den Homo erectus selbst. Ich bin versöhnt mit unserem Stopp an diesem Ort namens „Steinrinne“. Ist doch nicht so langweilig, wie ich befürchtet hatte. Auch Clara steht ganz still neben mir und ist versunken in die Welt von vor 400.000 Jahren. Dieses Thüringer Becken steckt einfach voller Überraschungen.

Titelbild: ©Paul Haentzschel, TTG


 

Ausgrabungsstätte Steinrinne Bilzingsleben

Wo der Urmensch zuhause war

Erlebt und entdeckt den Sensationsfund im Thüringer Becken. Den homo erectus bilzingslebenensis.Er gehört zu den frühesten Menschenfunden in Mittel- und Nordwesteuropa.