Eine Geschichte von Beharrlichkeit und Begebenheiten

Erfurts jüdisches Erbe

Das jüdische Erbe von Erfurt ist eine Geschichte von Wiederentdeckungen, die zum Teil dem Zufall zu verdanken sind. Sie ist erst am Anfang; manche Kapitel werden erst noch geschrieben. Am Ende steht vielleicht eine Ernennung zum Weltkulturerbe. Lest selbst, wie alles begann.

Eine Frau geht auf die Suche

Im Jahr 1990 befindet sich Erfurt mitten in den Wirren der Wende. Dass es in der Altstadt im Mittelalter einmal eine Synagoge gab, wissen nur noch Experten; man vermutet sie existiere nicht mehr. Nicht so Rosita Peterseim! Sie ist Historikerin und hartnäckig auf der Suche nach Überresten des alten Gebäudes. Unbeirrt verfolgt sie die Spur, involviert Denkmalpfleger, scheucht die Verantwortlichen der Stadt auf.

Als sie 1992 endlich das Innere eines verfallenden und versteckt stehenden großen Hauses betritt, sieht dies nicht aus wie ein Sakralbau. Es ist vollgestellt mit Gerümpel. Über Stapel von alten Möbeln klettert sie nach oben, um einen Blick auf die Zwischendecke zu werfen. Und dann sieht sie Fenster mit mittelalterlich geschwungenen Rundbögen. Später wird der Fund des Torascheins ihre Vermutung bestätigen: Die Alte Synagoge, die bis 1349 Erfurts jüdischer Gemeinde als Gotteshaus diente, hat überlebt.

Ein Teller weist den Weg zum Schatz

​​​​​​Im Haus in der Michaelisstraße mit der Nr. 43/44 finden 1998 Bauarbeiten für einen Fahrradkeller statt. Das Haus unweit der Alten Synagoge ist neu, aber der Keller alt. In der Wand haben sich bei den Arbeiten Steine gelöst. Sie müssen nun entfernt und neu eingefügt werden. Da geschieht es. Eine Mauerlücke gibt einen zerbeulten Teller frei. Er sieht nicht spektakulär aus und wird aber auf den Bauwagen gelegt zur späteren Beurteilung.

​​​​​Es dauert, bis ein Fachmann darauf schaut. Dann aber geht alles sehr schnell. Das Stück ist aus Silber und stammt aus dem 14. Jahrhundert. Ob die Wand noch mehr birgt? In der Tat, nach kurzer Suche wird klar: Hier lagert ein Schatz! Beinahe 30 Kilogramm Gold und Silber sind es am Ende. Darunter ein kunstvoll gestalteter Goldring mit hebräischer Gravur. Bislang sind weltweit nur zwei Exemplare mittelalterlicher jüdischer Hochzeitsringe bekannt. Mit dem Erfurter sind es nun drei. Heute ist er Teil der Ausstellung in der Alten Synagoge.

Der jüdische Hochzeitsring, ausgestellt in der Alten Synagoge in Erfurt

©Samuel Zuder, Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie / TTG

Ein Baum gibt den Blick frei auf ein Bad

Es ist der Frühling des Jahres 2007. Die Uferbefestigung des Breitstromes an der Krämerbrücke ist weggebrochen und muss wiederhergestellt werden. Es wird gebaggert und gebaut; viel Erde wird bewegt. Das bringt einen alten Baum in Schwierigkeiten. Er steht zu nah an den Erdarbeiten und verliert den Halt. Er neigt sich, fällt und reißt ein Loch.

Das Missgeschick wandelt sich in Überraschung, als unten im Loch ein gemauertes Gewölbe sichtbar wird. Schnell stellt sich heraus, dass dies kein normaler Keller sein kann. Dazu sind die verwendeten Steine viel zu wertvoll. Der Bau stoppt, die Archäologen gehen ans Werk. Was sie finden ist eindeutig und eine kleine Sensation. Das Gewölbe der Mikwe, Erfurts altem jüdischen Ritualbad, hat die Zeiten überlebt. Heute ist es zugänglich in Führungen. Ein spezieller Überbau schützt den wertvollen Fund. Und die Stadt hat ein weiteres Stück ihrer jüdischen Identität wieder.​​​​​​

Titelbild: ©Samuel Zuder, TTG